Leben aus der Poesie des Zen
Auszug:
Ein Tag ohne Arbeit ist ein Tag ohne Essen
Als mein Vater gestorben war, schaltete ich eine Todesanzeige in einer
Zeitung und zitierte den obigen Zen-Spruch, obwohl mein Vater kein Buddhist
war. Verstanden hat ihn kaum ein Leser, wie ich feststellen musste. Dabei
sollte er das Wesen meines Vaters zusammenfassen. In einer alten Geschichte
heißt es, Mönche hätten ihrem Meister die schwere Arbeit ersparen wollen, weil
er schon alt und gebrechlich war, und deshalb eines Morgens die Gartenwerkzeuge
versteckt. Doch der Alte sagte
streng: „Ein Tag ohne Arbeit ist ein Tag ohne Essen.“ Und die Mönche mussten
einsehen, dass der Meister sich sein Essen durch Arbeit verdienen wollte und
mit einem Hungerstreik drohte.
Die Selbstversorgung, die zur Zen-Tradition gehört wie
der Almosengang, erfordert zuweilen körperliche Anstrengung, etwa für den Reis-
und Gemüseanbau. Mein Vater hatte nach seiner gewöhnlichen bezahlten Arbeit den
Drang, sich abends und an Wochenenden in unserem Garten um allerlei Pflanzen wie Tomaten, Salate, Gurken, Karotten, ja
sogar Kartoffeln zu kümmern. Als gelernter Landwirt wusste er genau, was zu tun
war. Eines Tages kam es zum Reaktorunglück in Tschernobyl, und wegen des
drohenden radioaktiven Niederschlags machte er sich Sorgen, ob sein Gemüse noch
gesund sein würde.
Als mein Vater im Rentenalter
an Krebs erkrankte, konnte er am Ende
nichts mehr essen. Abgemagert lag er im Bett, mit Beuteln am Körper für seine Ausscheidungen. Draußen im Park
trafen sich regelmäßig Jugendliche hinter unserem Garten und machten noch abends Lärm. Meinen Vater schien dies
zu irritieren, weswegen ich kurzerhand die alte, vermodernde Bank, auf der die
Jugendlichen saßen, durchsägte und entsorgte. Ich war hilflos, ich konnte sonst
nichts mehr für ihn tun. All die Wundermittel, die für Krebskranke angeboten wurden – zum Beispiel ein Pulver aus Haifischknorpeln
(weil Haie angeblich nicht an Krebs erkrankten), worauf ich selbst
hereingefallen war –, zogen an meinen Augen vorbei.
Mein Vater konnte tatsächlich, auch wenn er gewollt
hätte, nichts mehr essen, als er
nicht mehr arbeitete.
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